Brief an SPD-Bundestagsabgeordnete
Die Bundesregierung möchte "sichere Herkunftsstaaten" per Rechtsverordnung einstufen. Was das genau bedeutet, könnt ihr in der Mail lesen, die wir an SPD-Bundestagsagbeordnete geschickt haben. Wir möchten damit an die SPD appellieren, nicht bei dieser Entrechtung von Geflüchteten und Untergrabung des Grundgesetzes mitzumachen.
Je mehr Druck auf die SPD ausgeübt wird, desto größere Chancen hat unser Anliegen auf Erfolg. Kopiert diesen Text also gerne und schickt ihn an eure:n SPD-Bundestagsabgeordnete:n!
Betreff: Appell gegen eine Aushebelung des Grundgesetzes
Sehr geehrte:r Herr/Frau Bundestagsabgeordnete:r [Name],
am 4. Juni 2025 beschloss das Kabinett einen Gesetzentwurf, der am 7. Juli von der Union in den Bundestag eingebracht wurde. Der Entwurf sieht vor, sogenannte sichere Herkunftsstaaten künftig auch per Rechtsverordnung festzulegen. Er wurde erstmals am 10. Juli im Bundestag beraten und anschließend in den Innenausschuss des Bundestages überwiesen.
Die Einstufung bestimmter Staaten als sicher und die Führung einer entsprechenden Liste soll laut Entwurf der Beschleunigung von Asylverfahren dienen. Bei sicheren Herkunftsstaaten handelt es sich um Länder, von denen angenommen wird, dass dort weder politische Verfolgung noch Menschenrechtsverletzungen drohen. Asylsuchende aus diesen Staaten durchlaufen durch die Sicherheitsvermutung ein beschleunigtes Verfahren, da ihre Anerkennungsquote niedrig ist. Zudem verschlechtert sich ihre aufenthaltsrechtliche Stellung, zum Beispiel durch eine unbefristete Wohnverpflichtung in Erstaufnahmeeinrichtungen oder ein Erwerbstätigkeitsverbot.
Bisher können sichere Herkunftsstaaten nur nach Art. 16a Abs. 3 GG mit Zustimmung des Bundesrats bestimmt werden. Eine Entscheidung per Rechtsverordnung würde den Bundestag und den Bundesrat umgehen und das Grundgesetz aushebeln.
Eine Änderung des Grundgesetzes selbst würde eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat erfordern. Eine solche Mehrheit ist im Bundestag derzeit jedoch nur mit Unterstützung der AfD machbar, da Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke einer entsprechenden Änderung nicht zustimmen würden. Diesem Dilemma versucht sich die Union nun zu entziehen, sowohl aufgrund ihres eigenen Unvereinbarkeitsbeschlusses als auch aufgrund eines befürchteten Widerstands von Seiten der SPD bei einer Abstimmung mit der (in Teilen) rechtsextremen AfD. Die Lösung soll nun also eine Umgehung des Grundgesetzes sein.
Der Gesetzentwurf schlägt vor, den §29a Asyl, in dem die verfassungsrechtliche Regelung ausgeführt wird, anzupassen. Die Überschrift soll künftig nicht mehr „Sicherer Herkunftsstaat” lauten, sondern „Sichere Herkunftsstaaten im Sinne des Artikels 16a Absatz 3 des Grundgesetzes“. Der Entwurf sieht im nächsten Schritt vor, einen §29b AsylG hinzuzufügen, überschrieben mit „§29b Sichere Herkunftsstaaten im Sinne der Richtlinie 2013/32/EU; Verordnungsermächtigung“. Darin wird nicht auf die deutsche Regelung im Grundgesetz verwiesen, sondern auf die EU-Richtlinie 2013/32, die es Mitgliedstaaten ermöglicht, Staaten unter gewissen Voraussetzungen per Rechtsvorschrift als sichere Herkunftsstaaten einstufen zu können. Diese sogenannte „Kann-Regelung” wird auch in der kommenden Asylverfahrens-VO Art. 64 beibehalten. Alle Paragraphen, die auf §29a AsylG verweisen, sollen nun auf „§29a und §29b AsylG” verweisen.
Dies hätte zur Folge, dass es künftig zwei Listen (neben der geplanten EU-weiten Liste) mit als sicher eingestuften Herkunftsstaaten gäbe: eine nach der Auslegung des Grundgesetzes und eine nach der EU-Richtlinie. Offensichtlich soll dadurch das Grundgesetz, der Bundestag und der Bundesrat umgangen werden, indem die Bundesregierung zukünftig nur noch auf den entworfenen §29b AsylG verweisen könnte und §29a AsylG damit praktisch stillgelegt wird.
Zudem besteht die Gefahr, dass die Einstufung von Staaten als sichere Herkunftsstaaten somit noch intransparenter wird. In dem Gesetzentwurf wird nicht erwähnt, ob die Bundesregierung eine Einstufung vor einer Instanz rechtfertigen müsste. Ob das EuGH-Urteil (Urt. v. 01.08.2025, Az. C‑758/24, C‑759/24), das bereits von der italienischen Ministerpräsidentin Meloni öffentlich in Frage gestellt wurde, hieran etwas ändert, bleibt abzuwarten. Es besagt, dass ein Mitgliedstaat seine Bewertungsgrundlage zum Zweck der Überprüfung durch nationale Gerichte offenlegen muss und einen Staat nicht in die Liste sicherer Herkunftsstaaten aufnehmen darf, wenn dieser nicht seiner gesamten Bevölkerung Schutz bietet. Es genügt also nicht, wenn ein Staat für manche Personengruppen sicher ist, für andere jedoch nicht.
Auch die Annahme, mehr sichere Herkunftsstaaten entlasteten die Verwaltung und die Gerichte, ist begründet anzuzweifeln. Die Zersplitterung des Gesetzes verlangsamt sogar die Verfahren, mahnt der Deutsche Anwaltverein in einem Statement.
Noch weitreichender ist der dadurch geschaffene Präzedenzfall. Als nächstes würde eine solche Regelung auch auf die Einstufung sicherer Drittstaaten oder sogar auf ganz andere Gebiete des Grundgesetzes ausgeweitet werden. Hierfür bräuchte es nur eine EU-Regelung, die Deutschland als größter EU-Mitgliedstaat in der EU selbst herbeiführen kann.
Dass das Grundgesetz auf diese Art und Weise umgangen werden soll, scheint auch verfassungsrechtlich zumindest fraglich. In einem entsprechende Gutachten kam der Staatsrechtler Thorsten Kingreen bereits 2019 zu dem Urteil, dass „[w]egen des grundrechtsimmanenten und -schützenden Parlamentsvorbehaltes [...] eine Liste sicherer Herkunftsstaaten stets durch den Bundesgesetzgeber mit Zustimmung des Bundesrates beschlossen werden” muss. Eine Einstufung per Rechtsverordnung „für den Bereich des internationalen Schutzes wäre mit Art. 16a Abs. 3 S. 1 GG unvereinbar und daher verfassungswidrig”. Über den Gesetzentwurf wird der Innenausschuss nach der parlamentarischen Sommerpause beraten, bevor der Entwurf zurück in das Plenum überwiesen wird.
Aus diesem Grund wenden wir uns an Sie als SPD-Abgeordnete[n].
Die SPD, die sich auf ihre Geschichte im Widerstand gegen den Nationalsozialismus und als Wahrerin des Grundgesetzes beruft, muss jetzt dieser Verantwortung gerecht werden und sich klar für rechtsstaatliche Prinzipien einsetzen. Wir fordern Sie daher auf, den Gesetzentwurf im Innenausschuss und im Bundestag entschieden abzulehnen und aktiv für das Grundgesetz, die Rechtsstaatlichkeit und die Demokratie in unserem Land einzutreten.