Statement zum Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD
Der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD scheint nun nach der Vereidigung der neuen Regierung die politischen Leitplanken für die kommenden vier Jahre darzustellen. Wir haben hier noch einmal die Prämissen der schwarz-roten Regierung im Bereich Migration zusammengefasst:
Geflüchtete vom Zugang zu Rechtsstaatlichkeit ausschließen
Die neue Bundesregierung will unter der Rigide des CSU-geführten Innenministeriums den Zugang zu rechtsstaatlichen Mitteln und Verfahren für Migrant:innen und Geflüchtete zunehmend einschränken. Der erst von der Ampel endlich eingeführte verpflichtende Rechtsbeistand für Geflüchtete soll wieder abgeschafft werden (S. 94). Die auch zuvor von zumeist kostenlosen behördenunabhängigen Träger:innen übernommene Asylrechtsberatung will das Innenministerium gleichzeitig “ergebnisoffen evaluieren” (S. 96). Es ist zu befürchten, dass der Zweck dieser Evaluation das Verbot dieser Angebote ist, damit Geflüchtete keine Informationen und somit keinen Zugang zu ihren Rechten haben. Gleichzeitig soll der “Amtsermittlungsgrundsatz” für Asylsuchende in einen “Beibringungsgrundsatz” geändert werden (S. 96). Dies bedeutet nichts weniger als eine Beweislastumkehr, obwohl die Beweise für Geflüchtete aus diversen Gründen kaum aufzubringen sind.
Im nächsten Schritt kündigt die Bundesregierung an, die Rechtsmittelzüge “in den Blick [zu] nehmen” (S. 96). Zusammen mit der Ankündigung, separat zuständige “Verwaltungsgerichte für Asylrechtssachen” zu schaffen, besteht die Gefahr, dass Möglichkeiten der Berufungen eingeschränkt werden.
Zudem werden die Menschen nun auch durch Zurückweisungen an den deutschen Grenzen (S. 93) von ihrem Recht abgehalten, ein Asylgesuch zu stellen, obwohl dieses gegen nationales, europäisches sowie internationales Recht verstößt. Durch den Plan, dass die Bundespolizei Haftbefehle beantragen können soll (S. 94), wird die Gewaltenteilung als existenzieller Teil der Rechtsstaatlichkeit angegriffen.
Rassistische und evidenzferne Narrative bedienen
Statt eine sachliche und menschenrechtsbasierte Politik zu verfolgen, wird im Koalitionsvertrag mit Begriffen gearbeitet, die pauschalisieren, stigmatisieren und Ängste schüren. So ist die Rede von vermeintlicher „Einwanderung in die Sozialsysteme“ (S. 92) und „Asylmissbrauch“ (S. 94). Begriffe, die seit Jahren von rechten Akteur:innen genutzt werden, um Migrant:innen und Schutzsuchende pauschal zu kriminalisieren und als Belastung darzustellen. Solche Narrative verzerren die Realität, blenden gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse aus und tragen zur gesellschaftlichen Spaltung bei. Statt echte Teilhabe zu ermöglichen, setzt der Vertrag auf „Integrationsvereinbarungen“ (S. 95), die vor allem Kontrolle signalisieren, verbunden mit Sanktionen. Die Ankündigung, die sogenannte „Turboeinbürgerung“ zu beenden (S. 96), steht ebenfalls exemplarisch für eine Verschärfung der Bedingungen, obwohl eine erleichterte Einbürgerung ein wichtiger Schritt zu einer inklusiven Gesellschaft wäre.
Außerdem sollen zukünftig Menschen, die unter die Massenzustromrichtlinie fallen, wie etwa Geflüchtete aus der Ukraine, unter das Asylbewerberleistungsgesetz fallen (S. 96f). Dies bedeutet eine rechtliche und soziale Schlechterstellung und widerspricht dem ursprünglich solidarischen Ansatz dieser Schutzform. Der Koalitionsvertrag setzt somit auf Misstrauen und Ausgrenzung, wo es eigentlich um Gerechtigkeit, Teilhabe und realitätsnahe Lösungen gehen müsste.
Migration “begrenzen” statt gestalten
In der Einleitung zum Abschnitt Migration im Koalitionsvertrag bekennt sich die Regierung zum Einwanderungsland Deutschland. Gleichzeitig folgt der Koalitionsvertrag der Forderung der Union, die “Begrenzung von Migration” wieder als Zweck des Aufenthaltsgesetzes aufzunehmen (S. 92), obwohl dies erst von der Ampel aus dem Gesetz entfernt wurde. Begrenzen will die Regierung auch das Kontingent der sogenannten Westbalkan-Regelung (von 50.000 auf 25.000 im Jahr; S. 93), durch die Menschen aus Staaten des westlichen Balkans vereinfachten Zugang in den deutschen Arbeitsmarkt bekommen. Dabei wurde selbst dieses geringere Kontingent noch nie ansatzweise erreicht. Diese Begrenzung ist somit nichts weiter als restriktive Symbolpolitik.
Ähnlich restriktiv-symbolisch bleibt die ausgerufene “Rückführungsoffensive” (S. 94), die sich vor allem daran messen lässt, ob die Zahl der Abschiebungen steigt. Diese Sichtweise ist nicht nur menschenverachtend, sie ignoriert auch die Realitäten von Fluchtrouten, Krisen und Kriegen sowie der Not der Menschen.
Teil dieser “Rückführungsoffensive” ist auch die Erweiterung der Liste Sicherer Herkunftsstaaten um Staaten wie Algerien, Tunesien, Marokko und Indien. Doch auch in diesen Staaten droht die Verfolgung von politischer Oppositionen sowie religiösen Minderheiten und sozialen Gruppen, wie etwa queeren Menschen. Den demokratischen Prozess über die Entscheidung, welche Staaten als “sicher” einzustufen sind (ein Vorgehen, das ohnehin fragwürdig ist), will die Bundesregierung dabei weiter aushöhlen, indem sie die Liste per Rechtsverordnung (also auf eigenen Beschluss; S. 93) ausweitet und nicht mehr per Beschluss des Bundesrats. Dies benötigt jedoch eine unwahrscheinliche Grundgesetzänderung.
Regularisierte Migrationswege abbauen
Mit dem Beenden der freiwilligen Bundesaufnahmeprogramme entzieht sich die Bundesregierung internationaler Verantwortung, die es gegenüber schutzbedürftigen Menschen sowie überlasteten Staaten hat. Mit dem Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan wurde vielen Afghan:innen Schutz versprochen. Während nur wenige Hunderte dabei wirklich nach Deutschland gebracht wurden, wurde für Zehntausende der Prozess jedoch gestoppt. Tausende wurden trotz Zusagen nicht nach Deutschland geholt (S. 93).
Mit dem Aussetzen des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte wird ein weiterer regularisierter Migrationsweg abgebaut. Mit dem Schließen dieser Möglichkeit der regularisierten Migration, werden die Familienmitglieder selbst auf irreguläre Wege gezwungen. Dabei stellte das Bundesverfassungsgericht bereits fest, dass ein dauerhaftes Aussetzen des Familiennachzugs gegen das Recht auf Familie verstoße (Art. 6 GG). Zudem ist Familienzusammenführung ein wichtiges integrationspolitisches Mittel (S. 93).
Die Union gibt an, mehr legale und regularisierte Migrationswege zu wollen. Dabei schafft sie bereits regularisierte Wege ab.
Unmenschlichkeit und Erpressung bei Rückführungen
Mit dem Koalitionsvertrag möchte die Bundesregierung das Verbindungselement auf EU-Ebene abschaffen. Das eröffnet für sie die Möglichkeit, Asylsuchende in Staaten abzuschieben, zu denen sie jedoch in keinerlei Verbindung stehen (S.94). Zudem hat sie angekündigt, wieder nach Afghanistan und Syrien abzuschieben, obwohl in beiden Ländern die politische Situation nach wie vor sehr instabil ist und dementsprechend die Sicherheit der dort abgeschobenen Menschen nicht garantiert werden kann (S. 94). Für eine erleichterte Rückführung soll die “Kooperationsbereitschaft” der Herkunftsstaaten erzwungen werden, etwa durch Druck bei der Visa-Vergabe, Entwicklungszusammenarbeit und Handels- und Wirtschaftsbeziehungen (S. 95), die dort dann gezielt als Machtmittel eingesetzt werden, um die Länder zu einer Rücknahme der Menschen zu erpressen.
Zuletzt will die Bundesregierung jegliche Leistungsansprüche von Ausreisepflichtigen einschränken, obwohl ihnen trotz ihres Status das Recht auf ein Existenzminimum zusteht. Das Sozialgericht hat bereits im April den Ausschluss von Leistungen als rechtswidrig erklärt (S. 95).